Eine neue Chance

Für viele Menschen, die durch den Konflikt in der Ukraine vertrieben wurden, ist nicht die Flucht das Schwierigste – sondern das, was danach kommt.
Als Olena im März 2022 aufgrund der Kämpfe in der Region Donezk ihre Heimat verlassen musste, hoffte sie, Sicherheit zu finden. Stattdessen fand sie sich in einer Reihe provisorischer Unterkünfte wieder: Wohnungen von Freunden, überfüllte Schlafsäle, finanzielle Engpässe – und schliesslich ein Sammellager in der Region Dnipropetrowsk. Das Gebäude war früher von Studierenden genutzt worden, aber seit Jahrzehnten nicht mehr renoviert. Es war nie als Wohnraum gedacht.
Die Fenster waren zerbrochen und mit Decken notdürftig abgedeckt, um die Kälte fernzuhalten. Böden und Decken waren rissig. Haushaltsgeräte wurden gemeinschaftlich genutzt, waren oft defekt, und die hygienischen Bedingungen waren schlecht.
„Dort wurde alles geteilt – die Dusche, die Küche, die Waschküche. Man hatte keinen eigenen Raum.“
Olena lebte mit Fremden in einem Gemeinschaftsraum, stand Schlange vor den Toiletten, konnte sich nicht auf die Arbeit konzentrieren und war ständig Lärm ausgesetzt. Gleichzeitig war ihr Vater schwer krank, und fast ihr gesamtes Einkommen floss in seine Pflege. Eine eigene Wohnung zu mieten schien ein unerreichbarer Traum.
Sie tat, was sie konnte, um emotional zu überleben – Yoga, Selbsthilfebücher, Antidepressiva. Doch nichts davon war ausreichend.

Eine würdige Lösung durch persönliche Unterstützung
Inmitten dieser schwierigen Umstände lernte Olena das Fallmanagement-Team von Medair kennen, das in ihrem Zentrum das Programm „Alternative Housing Solutions“ vorstellte. Das Projekt, das im März 2025 ins Leben gerufen und von Swiss Solidarity finanziert wurde, richtet sich an Vertriebene, die Sammelunterkünfte verlassen möchten, jedoch mit erheblichen finanziellen, psychologischen oder praktischen Herausforderungen konfrontiert sind.

Von der ersten Beratung an wurde Olena von Medair individuell begleitet. Gemeinsam mit ihr ermittelte das Team ihre wichtigsten Bedürfnisse – etwa die Nähe zu Apotheken, gute Verkehrsanbindung sowie ein ruhiger und privater Wohnraum. Trotz eines begrenzten Budgets und eines angespannten Mietmarktes gelang es, für sie eine kleine Einzimmerwohnung im Stadtzentrum zu finden.
Die Veränderung war sofort spürbar – und lebensverändernd.
Zum ersten Mal seit Jahren konnte Olena wieder in ihrer eigenen Küche kochen. Mit einem funktionierenden Backofen lebte ihre Leidenschaft fürs Backen neu auf. Ihr Badezimmer war sauber, privat und mit ihren eigenen Hygieneartikeln ausgestattet. Sie hatte eine eigene Waschmaschine, einen ruhigen Arbeitsplatz und einen Raum, in dem sie ungestört Yoga machen konnte.
„Ein eigenes Zuhause ist ein Ort, an dem man zur Ruhe kommen kann. Jetzt kann ich endlich durchatmen und einfach ich selbst sein.“
Vom Überleben zum Lebenssinn
Der Umzug in ein eigenes Zuhause verbesserte nicht nur Olenas psychische Gesundheit – er eröffnete ihr auch eine neue Perspektive: eine Richtung im Leben. Heute studiert Olena Psychologie, mit dem Ziel, anderen Vertriebenen wie ihr zu helfen.
„Mir wurde klar, dass ich mir ein Leben aufbauen musste. Und jetzt habe ich die Grundlage dafür – mein eigenes Zuhause, Stabilität und Selbstvertrauen.“

Warum das wichtig ist
Mehr als drei Jahre nach Beginn des Konflikts leben noch immer Tausende Menschen in der Ukraine unter schwierigen Bedingungen in überfüllten und unzureichend ausgestatteten Sammelunterkünften. Diese Lebensumstände beeinträchtigen sowohl das körperliche als auch das seelische Wohlbefinden erheblich.
Mit dem Programm „Alternative Housing Solutions“ bietet Medair einen anderen Weg – einen Weg, der die Würde der Menschen achtet und ihre langfristige Genesung unterstützt. Durch individuelle Betreuung helfen wir den Betroffenen, einen Schritt nach vorne zu machen: heraus aus der Abhängigkeit, heraus aus dem Trauma – hinein in ein sicheres und stabiles Zuhause.

Dieser Inhalt wurde mit Ressourcen erstellt, die von Medair-Mitarbeitern vor Ort und in der Zentrale zusammengetragen wurden. Die hierin geäusserten Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und geben in keiner Weise die offizielle Meinung anderer Organisationen wieder.