Ein Anker im Chaos
_scr.webp)
«Jeden Tag lebte ich mit der ständigen Angst, mein Leben zu verlieren, Kollegen oder Patienten zu verlieren oder in einen Luftangriff zu geraten, wenn ich in der Gegend unterwegs war», erzählt Dr. Zakaria.
Seit dem 8. Oktober 2023 herrschte Konflikt an seiner Südgrenze, doch im September 2024 weiteten sich die aktiven Kampfhandlungen auch auf den Libanon aus. Durch Luftangriffe und eine Invasion seitens Israels sind seither über 3800 Menschen im Libanon ums Leben gekommen und 1,4 Millionen sind aus ihren Häusern vertrieben worden. Insbesondere im Bekaa-Tal und im Süden haben viele Familien in Schulen, die zu Sammelunterkünften umfunktioniert worden sind, Zuflucht gesucht. Zudem sind seit dem 8. Oktober 2023 140 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen registriert worden. 233 Angestellte haben dabei ihr Leben verloren.
Dr. Zakaria ist erfahrener Gynäkologe und Leiter des von Medair unterstützten Zentrums für medizinische Grundversorgung im Bekaa-Tal. Der Zugang zu medizinischer Versorgung war in dieser Region ohnehin schon eingeschränkt, doch durch die Luftangriffe hat er sich zusätzlich erschwert. Trotz teils lebensgefährlichen Umständen blieben Dr. Zakaria und seine Mitarbeitenden ihrem humanitären Auftrag treu und arbeiteten aufgrund der steigenden Nachfrage nach medizinischer Versorgung weiter im Zentrum. Sie hielten den körperlichen und mentalen Anforderungen der Arbeit in einem solchen Umfeld stand, um anderen dringend benötigte Hilfe bieten zu können.
_scr.webp)
Auf dem Höhepunkt des Konflikts im September war die Lage im Bekaa-Tal äusserst unbeständig, und die Luftangriffe hielten in bestimmten Gebieten bis zu drei oder vier Stunden pro Tag an. Um dem wachsenden Bedarf an medizinischer Versorgung gerecht zu werden, verlängerte das primäre Gesundheitszentrum seine Öffnungszeiten – trotz der häufigen Luftangriffe. Dr. Zakaria berichtet, wie er und sein Team in dieser chaotischen Zeit zu einem Anker für die lokale Bevölkerung wurden, indem sie auch in schwierigen Zeiten ihre Türen geöffnet liessen, um die Menschen mit Gesundheitsdiensten und wichtigen Medikamenten zu versorgen.
«Wegen der konstanten Bedrohung durch Luftangriffe lebte ich in ständiger Ungewissheit – die Zeit schien endlos, im Nachhinein fühlt es sich fast wie ein ganzes Leben an. Jeden Tag lebte ich mit der ständigen Angst, mein Leben zu verlieren, Kollegen oder Patienten zu verlieren oder in einen Luftangriff zu geraten, wenn ich in der Gegend unterwegs war. Selbst der einfache Gang zur Arbeit oder die Erledigung von alltäglichen Aufgaben wurde von der Gefahr völlig überschattet. Die Gefahr umgab uns von allen Seiten, und es gab keine Gewissheit, dass irgendjemand von uns sie überleben würde. Meine Mitarbeitenden waren wie ich entschlossen, weiter zu helfen, aber sie waren sich auch der Risiken bewusst.»
«Einerseits war ich um meine persönliche Sicherheit und die meiner Mitarbeitenden besorgt, andererseits sah ich mich mit den zunehmenden Bedürfnissen der Menschen konfrontiert, die dringend medizinische Hilfe benötigten. Viele der Menschen, die in das Gesundheitszentrum kamen, brauchten sofortige medizinische Hilfe. Jeder Luftangriff hinterliess weitreichende und verheerende Zerstörungen. Der Druck, die medizinische Versorgung mit begrenzten Mitteln zu gewährleisten, während gleichzeitig die ständige Gefahr weiterer Luftangriffe bestand, war überwältigend. Für mich und mein Team war es eine unglaublich schwere Last, weil wir wussten, dass wir für das Leben der Menschen verantwortlich waren, und uns bewusst war, dass sich so vieles ausserhalb unserer Kontrolle befand. Alle hatten Angst, und es war viel auf einmal zu verkraften. Ich sorgte dafür, dass wir über die notwendigen Ressourcen verfügten, und kümmerte mich gleichzeitig um die vielen Patienten, die zu uns kamen.»
%20(4)_scr.webp)
«Die Berichte über Anschläge auf Gesundheitseinrichtungen im Libanon verstärkten unsere Angst und Unsicherheit noch zusätzlich. Das sind Orte, die eigentlich sichere Zufluchtsorte für Menschen sein sollten. Das war ehrlich gesagt frustrierend und zutiefst entmutigend. Trotz der anhaltenden Instabilität beschlossen mein Team und ich, in der Gegend zu bleiben und uns weiterhin um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu kümmern. Denn wir wussten, dass viele Menschen nicht aus ihren Häusern fliehen konnten. Die Realität, dass es keine anderen Ärzte oder Gesundheitseinrichtungen in der Nähe gab, zwang uns zum Handeln. Ohne unsere Präsenz im Gesundheitszentrum hätten viele Menschen in der Gegend keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten gehabt. Wir waren ihre einzige Hoffnung.»
Der Nothilfeeinsatz von Medair im Libanon bestand sowohl aus medizinischen Versorgungsdiensten als auch psychosozialer Unterstützung. Über 1000 Mitarbeitende und Freiwillige wurden in psychologischer Erster Hilfe geschult, und es wurden über 3000 psychologische Erste-Hilfe-Sitzungen durchgeführt. Darüber hinaus unterstützte Medair 27 Notunterkünfte mit fünf mobilen Gesundheitsstationen und sechs Zentren für medizinische Grundversorgung - darunter auch dasjenige, in dem sich Dr. Zakaria und sein engagiertes Team weiterhin um die hilfsbedürftigen Menschen kümmern.
Die Arbeit von Medair im Libanon wird durch das deutsche Auswärtige Amt (AA), das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR), die Glückskette, USAID, die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) über Interaction-CH sowie durch grosszügige private Spenderinnen und Spender ermöglicht.
Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und am internationalen Hauptsitz verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.
Werden Sie Teil der Geschichte
Weitere Geschichten mit Wirkung
.webp)
Sicher gebären in einem fragilen Land: Die Stärke und Kraft einer jungen Mutter
%20(14)%20(1).webp)
Ein Trost in schwierigen Umständen
%20(2).webp)