Die Krise im Sudan verschärft sich
Wir schreiben den 29. August 2024, und zwei Drittel der sudanesischen Bevölkerung haben keinen Zugang mehr zu grundlegenden Gesundheitsdiensten, da die meisten Krankenhäuser und Gesundheitszentren des Landes geschlossen werden mussten. Seit April letzten Jahres sind zahlreiche Mitglieder des medizinischen und Pflegepersonals getötet oder verletzt worden, und viele Gesundheitseinrichtungen haben durch Granatenbeschuss und Luftangriffe erhebliche Schäden erlitten.
Die anhaltenden Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen und -mitarbeitende haben verheerende Folgen, insbesondere jetzt da die Nahrungsmittelkrise einen neuen Höhepunkt erreicht hat: Zum ersten Mal seit sieben Jahren hat das Famine Review Committee (FRC) offiziell eine Hungersnot im Bundesstaat Nord-Darfur ausgerufen. Laut aktuellen Schätzungen sind 25,6 Millionen Sudanesinnen und Sudanesen - mehr als die Hälfte der Bevölkerung - von einer krisenhaften oder akuten Ernährungsunsicherheit betroffen. Davon leiden 755 000 Menschen unter einer katastrophalen Ernährungsunsicherheit. Drei von vier Kindern hungern inzwischen täglich, und die Zahl der Kinder, die von schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen sind, hat sich innerhalb von sechs Monaten auf 16,4 Millionen fast verdoppelt.
Millionen Menschen in dringender Not inmitten eskalierender Krankheitsausbrüche und Gewalt
Gesundheitszentren spielen eine entscheidende Rolle bei der Vorbeugung, Erkennung und Behandlung von Unterernährung. Deshalb sind sie für die am stärksten gefährdeten Gruppen, einschliesslich schwangerer Frauen, stillender Mütter und Kinder unter fünf Jahren, unverzichtbar. Jedoch häufen sich Berichte über Plünderungen und Vandalismus in Gesundheitseinrichtungen, sowie über Drohungen und körperliche Gewalt gegen Personal und Patienten. Menschen sterben, weil sie nicht rechtzeitig Zugang zu medizinischer Versorgung bekommen, und ganze Gemeinschaften sind von wichtigen medizinischen Dienstleistungen wie Entbindungen, Säuglingspflege und Impfungen abgeschnitten.
Das Gesundheitssystem im Sudan stösst an seine Grenzen. Der Bedarf an medizinischer Versorgung im Land nimmt stetig zu, während die Kapazitäten zur Deckung dieses Bedarfs abnehmen. Neusten Schätzungen zufolge benötigen 14 Millionen Menschen dringend medizinische Hilfe. Die Gründe für den grassierenden Bedarf sind vielfältig. Viele Menschen sind aufgrund von Vertreibung geschwächt und leben in Lagern, in denen die Hygienebedingungen minderwertig sind, wodurch sie anfälliger für Krankheiten sind. Andere leiden unter konfliktbedingten Verletzungen oder nicht übertragbaren Krankheiten. Ausserdem ist das Land mit zahlreichen Krankheitsausbrüchen wie Cholera, Denguefieber und Masern konfrontiert. Im Juni 2024 waren mindestens zwei Drittel der 18 Bundesstaaten von drei oder mehreren Ausbrüchen verschiedener Krankheiten gleichzeitig betroffen. Da die Regenzeit gerade erst begonnen hat, ist Malaria eine der Hauptursachen für Morbidität und Mortalität im Sudan und macht etwa 20 % aller ambulanten Konsultationen aus. Die Ressourcen und lokalen Kapazitäten zur Erkennung von und Reaktion auf Krankheitsausbrüche sind begrenzt, insbesondere in schwer zugänglichen Gebieten.
Medair als Lebensader: Medizinische Versorgung für vertriebene Familien in Blue Nile
Inmitten dieser schlimmen Situation kümmert sich das Medair-Team weiterhin um die Vulnerabelsten im Bundesstaat Blue Nile, der einen grossen Zustrom von Binnengeflüchteten zu verzeichnen hat. Tausende Familien sind aus anderen Regionen des Landes vor der Gewalt hierher geflüchtet. Der Staat war bereits mit eigenen Herausforderungen, einschliesslich Gewalt zwischen den Gemeinschaften, Krankheitsausbrüchen und Hunger, konfrontiert. Die Unterbringung der neuen Vertriebenen stellt eine erhebliche Herausforderung für die Infrastruktur und die Gemeinschaften dar.
An drei Standorten in Blue Nile bietet Medair kostenlose Gesundheits- und Ernährungsdienste für Mütter und Kinder unter fünf Jahren an. Bei einem Besuch unseres Teams vor Ort trafen wir Kazima, eine 25-jährige Mutter von drei Kindern, die mit ihrer Familie schon mehrmals vertrieben wurde. Sie zieht ihre Kinder mit Hilfe ihrer Verwandten auf. Ihr erster Ehemann starb früh und der zweite liess sie mit den Kindern allein. Ihr Schicksal steht stellvertretend für das unzähliger anderer Menschen im Sudan:
“Ich erinnere mich an den Ausbruch der Kämpfe im Jahr 2011, wo ich damals lebte. Es war 4 Uhr morgens, als die Schiesserei begann. Als wir zu fliehen versuchten, hatten die Bewaffneten bereits die Strassen blockiert. Wir überquerten einen Berg und fanden einen Ort, den wir für sicher hielten. Einen Monat lang lebten wir draussen unter einem Baum. Es gab nichts zu essen. Wir assen die Blätter der Bäume, um nicht zu verhungern. Von dort zogen wir in ein anderes Dorf. Aber nach zwei Jahren erreichten uns die Kämpfe auch dort, und wir mussten erneut fliehen. Unser Haus wurde niedergebrannt.”
Kazima und ihre Familie fanden vorübergehend Schutz in einem anderen Dorf. Sie richteten sich in ihrer neuen Umgebung ein und mieteten ein kleines Haus mit Garten, um etwas anzubauen. Doch gerade als sich die Lage zu beruhigen schien, begann der Alptraum von neuem: Eine weitere Runde von Konflikten zwang die Familie, ihr Haus zu verlassen. Kazima sah keinen anderen Ausweg als in ihr ursprüngliches Dorf zurückzukehren, wo sie jedoch ein zerstörtes und überwuchertes Haus vorfand. “Es ist nicht möglich, unser altes Haus wiederaufzubauen. Bis jetzt haben wir in einer provisorischen Unterkunft aus Plastikplanen gelebt”, sagt sie.
Während die Familie auf der Flucht war, hatte Medair damit begonnen, in der Nähe von Kazimas ehemaligem Zuhause kostenlose Gesundheits- und Ernährungsdienste anzubieten. Als sie zurückkehrte, besuchte sie ein freiwilliger Gesundheitshelfer aus der Gemeinschaft von Medair, um ihre Kinder auf Unterernährung zu untersuchen. Er erzählte ihr von der Medair-Einrichtung. Das war eine grosse Erleichterung für die junge Mutter, die kein Geld hatte, um Medikamente oder Behandlungen für ihre Familie zu bezahlen.
“Ich kenne diesen Ort schon seit mehr als einem halben Jahr. Ich bin heute hierher gekommen, weil meine acht Monate alte Tochter Faiza Durchfall und Fieber hat. Auch ich leide unter Fieber und Erbrechen. Dies ist die einzige Gesundheitseinrichtung in der Nähe, zu der ich gehen kann. Und die Leistungen sind kostenlos. Wir können sie ohne Probleme aufsuchen. Medair hilft den Menschen hier rund um die Uhr, auch an Wochenenden und Feiertagen. Ich weiss, dass wir immer hierher kommen können, wenn ich oder meine Kinder wieder krank werden.”
Hoffnung und Heilung für gefährdete Familien
Die Schicksale und Geschichten von Familien wie der von Kazima in Blue Nile zeigen sowohl die unglaubliche Widerstandsfähigkeit der sudanesischen Bevölkerung als auch den dringenden Bedarf an humanitärer Hilfe. Diese Realität führt vor Augen, wie wichtig die Hilfeleistungen von Organisationen wie Medair sind. Jeden Tag erleben wir aus erster Hand, wie die medizinische Versorgung nicht nur heilt, sondern den Menschen in einer scheinbar aussichtslosen Situation neue Hoffnung schenkt und Würde zurückgibt.
Im Jahr 2023 hat unser Team über 36 000 Patienten in unseren Gesundheitseinrichtungen in Blue Nile behandelt. Die kontinuierliche Unterstützung durch unsere grosszügigen Spender ist entscheidend dafür, dass wir den Verwundbarsten lebensrettende Hilfe leisten können. Gemeinsam können wir den Menschen im Sudan, die es so dringend brauchen, Hoffnung und Heilung bringen.