Die Klimaveränderung verändert meine Arbeit
Auf meinem Handy habe ich einen speziellen Alarm, der jedes Mal ausgelöst wird, wenn sich auf der Welt eine grössere Naturkatastrophe ereignet. Manchmal erhalte ich mehrere Alarme pro Tag. Meine Frau würde Ihnen sagen, dass sie immer gegen 3 Uhr morgens ausgelöst werden. Teil meines Jobs ist es, mich über jede neue Krise zu informieren und die Entwicklungen bestehender humanitärer Krisen genau zu verfolgen, damit wir, falls nötig, innerhalb von 24 bis 48 Stunden ein Team bereitstellen können.
Nach 18 Jahren in diesem Beruf sehe ich, dass sich etwas ändert. Die Krisen lassen sich immer schwerer vorhersagen. In der Vergangenheit konnte man davon ausgehen, dass bestimmte Regionen zu bestimmten Zeiten von saisonalen Dürren oder tropischen Stürmen betroffen sein würden. Doch heute ist es zunehmend ungewiss, wo oder wann die nächste Katastrophe auftreten wird. Immer schwieriger wird auch, mit der schieren Anzahl der grossen Naturkatastrophen Schritt zu halten, die Berichten zufolge dreimal häufiger auftreten als noch vor 50 Jahren. In unserem Alltag als humanitäre Helfende sind wir täglich Zeugen dieses Trends, denn jedes Jahr ereignen sich neue rekordverdächtige Katastrophen.
In den letzten Jahren haben wir Nothilfe in Honduras und Mosambik geleistet, nachdem beide Länder nacheinander ohne Präzedenzfall von schweren tropischen Wirbelstürmen getroffen wurden. Zyklon Idai, der Mosambik traf, gilt als stärkster Wirbelsturm, der jemals den afrikanischen Kontinent heimgesucht hat. In Syrien erleben wir derzeit die schlimmste Dürre seit 70 Jahren, in Madagaskar die schlimmste Dürre seit 40 Jahren, und nun zeichnet sich eine ähnliche Situation am Horn von Afrika ab. In Renk, Südsudan, haben wir vor kurzem auf die verheerendsten saisonalen Überschwemmungen seit 30 Jahren reagiert. Das sind nur einige der vielen Beispiele, die ich aufzählen könnte.
Es ist gut dokumentiert, dass sich aufgrund der Klimaveränderung extreme Wetterereignisse häufiger ereignen und schwieriger vorherzusehen sind. Der Klimawandel hat jedoch nicht nur Einfluss auf sogenannte «Natur»-Katastrophen, sondern auch auf Konflikte, wie wir in Afghanistan, Jemen, Somalia, Südsudan und vielen anderen Orten beobachten können, wo der Wettbewerb um knappe Ressourcen gewaltsame Auseinandersetzungen entfacht. Es mag vielleicht nicht möglich sein, genau zu beweisen, wie gross der Schuldanteil der Klimaveränderung an einer bestimmten Katastrophe ist, da immer viele Faktoren dazu beitragen. Sicherlich hat sie aber einen Multiplikatoreffekt.
Ich verbringe viel Zeit mit der Analyse von Katastrophendaten. Eine Frage beschäftigt mich dabei ganz besonders, nämlich die Frage nach der Bewältigungskapazität. Denn sie entscheidet darüber, ob sich ein extremes Wetterereignis zu einer humanitären Katastrophe entwickelt oder nicht. Menschen, die Zugang zu klimatisierten Gebäuden haben, kommen mit einer Hitzewelle leichter zurecht als Menschen, die in Zelten leben. Länder, die über keine gute Infrastruktur, Notdienste und ausreichenden finanziellen Mittel verfügen, werden immer stärker betroffen sein. Aus diesem Grund sind die Ärmsten am meisten vom Klimawandel betroffen.
Das ist auch der Grund, warum diese Krise der Klimaveränderung für die humanitäre Hilfe nichts Neues ist – wir beobachten sie schon seit langem. Nach klimabedingten Katastrophen kümmern wir uns um die dringenden Bedürfnisse der Gemeinschaften, und gleichzeitig helfen wir ihnen auch, sich auf künftige Katastrophen vorzubereiten – anhand Massnahmen zur sogenannten «Katastrophenrisikominderung». Dazu gehören beispielsweise die Verbesserung der Infrastruktur, der Bau gegen Überschwemmungen oder Wirbelstürme resistenter Schutzräume, oder die Schulung von Gemeinschaften in der Wassereinsparung oder in Landbewirtschaftungstechniken, welche das Risiko von Erdrutschen und Sturzfluten verringern.
Doch weil sich die Umweltbedingungen in unseren Einsatzgebieten teilweise dramatisch verändert haben, mussten wir in letzter Zeit immer wieder neue massgeschneiderte Lösungen entwickeln. Im Südsudan haben wir an Wasserstellen Handpumpen installiert, sodass sie auch bei Überschwemmungen fortwährend benutzt werden können; in einem Flüchtlingslager im Sudan konnten wir ein Entwässerungssystem einrichten, und in Madagaskar haben wir bei der Einführung eines Frühwarnsystem für Wirbelstürme mitgewirkt.
Da die Auswirkungen der Klimaveränderung auf den Menschen immer dringlicher werden, können wir auch unseren eigenen Einfluss nicht ignorieren. Wir bei Medair wollen verantwortungsbewusst handeln, und haben uns deshalb im Laufe der Jahre darangesetzt, unseren Fussabdruck zu mindern. Zum Beispiel verwenden wir Solarpaneele statt brennstoffbetriebener Generatoren für die Stromversorgung von Wassersystemen und Kliniken, pflanzen für jede errichtete Latrine einen Baum oder lassen beim Bau geschützter Quellen einen Wasservorrat für Tiere und Pflanzen zurück. Wir arbeiten mit Partnern an Innovationen wie Planen aus biologisch abbaubarem Kunststoff, verbessern die Energieeffizienz unserer Büros und minimieren den Reiseaufwand unserer Angestellten. Und wir intensivieren diese Bemühungen jetzt mit unserem Engagement für die Klima- und Umweltcharta für humanitäre Organisationen.
Die Herausforderung, vor der wir stehen, kann niemand alleine bewältigen. Wir sind dankbar für diejenigen, die diese Herausforderung erkennen und mit uns zusammenarbeiten. In diesen Zeiten, in denen es immer schwieriger wird, vorherzusagen, wo die Ressourcen als nächstes benötigt werden, ist eine vorausschauende Finanzierung besonders hilfreich. Auf diese Art wird es uns ermöglicht, bereits vor Eintreffen einer Katastrophe alle nötigen Vorbereitungen zu treffen, und sofort einsatzbereit zu sein, anstatt wertvolle Zeit mit der Suche nach finanziellen Mitteln zu verlieren.
Ich liebe meinen Job, und gleichzeitig wünschte ich, es bräuchte ihn nicht. Die tragische Realität ist jedoch, dass diejenigen von uns, die in der Nothilfe tätig sind, in den kommenden Jahren immer mehr zu tun haben werden.