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Der Sudan am Rande der Hungersnot

August 7, 2024
von Medair
Sudan
Die Hungerkrise verschärft sich von Tag zu Tag

Ernährungsunsicherheit und Unterernährung sind auf dem Höchststand

Die sudanesische Bevölkerung ist mit der schlimmsten akuten Ernährungsunsicherheit konfrontiert, die je im Rahmen der IPC-Initiative (Integrated Food Security Phase Classification) für das Land festgestellt wurde. Prognosen zufolge wird mehr als die Hälfte der sudanesischen Bevölkerung, insgesamt 25,6 Millionen Menschen, zwischen Juni und September 2024 von einer ernsten bis kritischen Ernährungsunsicherheit betroffen sein. Davon sind 755 000 Menschen in zehn Bundesstaaten, darunter Khartum und Blue Nile, wo Medair tätig ist, von einer katastrophalen Ernährungsunsicherheit betroffen. Drei von vier Kindern hungern inzwischen täglich, und die Zahl der Kinder, die von schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen sind, hat sich innerhalb von sechs Monaten fast verdoppelt und liegt nun bei schockierenden 16,4 Millionen.  

Die Hauptursache für diese Entwicklung ist der anhaltende Konflikt zwischen rivalisierenden Militärs, der im April 2023 ausbrach und das Land in die weltweit grösste interne Vertreibungskrise gestürzt hat. Vierzehn Monate heftiger Kämpfe in den wichtigsten landwirtschaftlichen Regionen, darunter Darfur, Kordofan, Khartum und Al Jazira, haben Millionen von Menschen zur Flucht aus ihren Häusern gezwungen und den Zugang für humanitäre Hilfe stark erschwert. In Verbindung mit dem erheblichen Finanzierungsdefizit der internationalen Gemeinschaft ist die Sudan-Krise zu einer der schwersten humanitären Krisen der Welt geworden. Der eskalierende Konflikt unterbricht die Systeme der Nahrungsmittelproduktion, tötet viele Landwirte und entzieht den Märkten wichtige Güter. Viele in der humanitären Gemeinschaft haben schon seit langem vor dieser Hungerkrise gewarnt, sind aber nicht gehört worden.

Medair ist kein Weg zu weit. Auch wenn die Strasse endet, machen wir weiter. Als in der Regenzeit im Staat Blue Nile ein Fahrzeug im Schlamm stecken blieb, gingen unsere Kollegen mit den Hilfsgütern zu Fuss weiter. © Medair

Humanitäre Hilfe im Visier von Angreifern

Da die humanitären Hilfsmassnahmen ab Juli 2024 nur noch zu etwa 16 % finanziert sind und die Zugangsbeschränkungen und die Unsicherheit für humanitäre Akteure ständig zunehmen, verschlimmert sich die Lage für die Menschen vor Ort immer mehr. Die wenigen Hilfsgüter, die ankommen, werden oft angegriffen. Erst kürzlich, am 30. Juni, griffen Unbekannte im Sudan Lastwagen des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) an, die Nahrungsmittelhilfe für Tausende von hilfsbedürftigen Sudanesinnen und Sudanesen transportierten, berichtete die Agentur.  

«Die Hilfsgüter, die aus einem WFP-Konvoi geplündert wurden, werden nicht mehr zu den bedürftigsten Menschen gelangen», sagte Clementine Nkweta-Salami, die oberste UN-Beauftragte für humanitäre Hilfe im Sudan, und forderte die Behörden auf, dass «die sichere Lieferung von Hilfsgütern von allen garantiert werden muss.»

Medair bringt weiterhin Hilfe und Hoffnung  

Trotz aller Herausforderungen setzt sich das Medair-Team weiterhin für die Vulnerabelsten in den schwer zugänglichen Gebieten des Sudan ein. Als Reaktion auf die wachsende Hungerkrise im Bundesstaat Blue Nile bieten unsere mobilen Kliniken und Einrichtungen integrierte Gesundheits- und Ernährungsdienste für Kinder unter fünf Jahren sowie schwangere und stillende Frauen an. Medair trägt so dazu bei, die Häufigkeit von schwerer akuter Unterernährung (SAM) und mässiger akuter Unterernährung (MAM) deutlich zu reduzieren. Der Zugang zu therapeutischen Nahrungsmitteln und Mikronährstoffzusätzen hilft unterernährten Kindern und Müttern, sich schnell zu erholen, die Sterblichkeitsrate zu senken und ein gesünderes Wachstum und eine bessere Entwicklung zu fördern. Unsere Dienste stellen auch sicher, dass Mütter angemessen ernährt werden, was für ihre Gesundheit und die Gesundheit ihrer Babys entscheidend ist. Die richtige Ernährung während der Schwangerschaft kann Komplikationen verhindern, ein gesundes Geburtsgewicht fördern und das allgemeine Wohlbefinden von Mutter und Kind verbessern.

Unsere Kollegen untersuchen ein junges Mädchen mit der MUAC-Methode (Messung des mittleren Oberarmumfangs) auf Unterernährung. © Medair

Unsere mobilen Kliniken sind unverzichtbar, wenn es darum geht, abgelegene und von Konflikten betroffene Gebiete zu erreichen, in denen es nur wenige oder gar keine Gesundheitsdienste gibt. Indem wir die medizinische Versorgung direkt in gefährdete Gemeinschaften bringen, verbessern wir den Zugang zu grundlegenden Gesundheits- und Ernährungsdiensten und stellen sicher, dass auch die am schwersten zu erreichenden Bevölkerungsgruppen die notwendige Versorgung erhalten. In der Zwischenzeit bieten unsere integrierten Dienste in stationären Gesundheitseinrichtungen eine noch stabilere und kontinuierlichere Quelle der Ernährungsunterstützung, die eine konsequente Überwachung und Behandlung von Mangelernährung über einen längeren Zeitraum ermöglicht.  

Die integrierten Ernährungsdienste umfassen eine Reihe zusätzlicher Massnahmen wie Impfungen und die Behandlung häufiger Krankheiten. Durch diesen ganzheitlichen Ansatz wird sichergestellt, dass Kinder und Mütter eine umfassende Betreuung erhalten, mehrere Gesundheitsbedürfnisse gleichzeitig angegangen werden und die allgemeinen Gesundheitsergebnisse verbessert werden. Zu den Leistungen von Medair gehören auch Aufklärungsveranstaltungen, die die Bevölkerung über richtige Ernährung, Hygiene und Gesundheitspraktiken informieren. Dadurch werden die Familien in die Lage versetzt, sich besser um ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu kümmern, was zu einer langfristigen Verbesserung der Ernährungs- und Gesundheitsstandards führt.

Unsere Aktivitäten im Sudan spiegeln unseren Glauben an den inhärenten Wert eines jeden Menschenlebens wider. Wir konzentrieren uns auf am meisten gefährdete Gruppen wie unterernährte Kinder und schwangere Frauen und zeigen damit die Wichtigkeit, für jeden Menschen in Not zu sorgen. Unsere umfangreichen Programme befassen sich nicht nur mit den unmittelbaren Bedürfnissen, sondern auch mit den breiteren Aspekten der menschlichen Entwicklung und Widerstandsfähigkeit. Trotz der oft schwierigen Umstände, unter denen wir arbeiten, ist Medair bestrebt, den Menschen, denen wir im Sudan helfen, Momente der Freude und Hoffnung zu bringen. Ob durch die erfolgreiche Behandlung eines unterernährten Kindes oder die Stärkung der Selbstbestimmung einer Mutter durch Gesundheitsaufklärung - unsere Arbeit fördert ein Gefühl der Hoffnung und des Positiven. Diese Momente der Freude sind entscheidend, um die Moral und den Geist der gefährdeten Gemeinschaften auch in den schwierigsten Zeiten aufrechtzuerhalten.

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Die Medair-Dienste im Bundesstaat Blue Nile werden von USAID, der EU sowie von privaten Spenderinnen und Spendern finanziert.  

Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und am internationalen Hauptsitz verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.

August 7, 2024
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