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Ist humanitäre Hilfe klimafreundlich?

August 22, 2024
von Medair
Schweiz
Die Beziehung zwischen Klimawandel und humanitärer Hilfe und wie sich Medair für eine grünere Zukunft einsetzt

Klimawandel: eine drängende Realität

Der Klimawandel ist eine drängende Realität mit unmittelbaren Folgen für Millionen von Menschen auf der ganzen Welt. In den letzten vier Jahrzehnten haben wir einen signifikanten Anstieg klimabedingter Katastrophen erlebt, darunter intensive Stürme, Waldbrände, Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen. Diese Umweltgefahren, die sowohl in ihrer Häufigkeit als auch in ihrer Komplexität zunehmen, lösen schwerwiegende Kettenreaktionen in allen Bereichen der Gesellschaft aus. Das hat zur Folge, dass auch die Zahl humanitärer Krisen erheblich angestiegen ist.

Allein in den letzten zwei Jahrzehnten waren über 80 % der Katastrophen klimabedingt, mit schwerwiegenden Folgen für die humanitären Bedürfnisse von Millionen von Menschen weltweit. Studien zeigen, dass wir im aktuellen Jahrzehnt mit einem Anstieg von 50 % der Menschen rechnen könnten, die aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels internationale Hilfe benötigen. Werden keine drastischen Massnahmen ergriffen, könnte sich diese Zahl bis 2050 sogar verdoppeln.

Länder mit der höchsten Anfälligkeit für den Klimawandel sind oft diejenigen mit den schwächsten Volkswirtschaften und komplexen geopolitischen und sozialen Bedingungen. In bestimmten Regionen, insbesondere am Horn von Afrika, reagieren wir bei Medair auf akute Unterernährung nach Dürren, um dann Monate später Teams zu entsenden, die den Überlebenden von Überschwemmungen helfen. Der Global Report on Internal Displacement (GRID) 2024 bestätigt diese Beobachtung und betont sowohl eine zunehmende Häufigkeit von Vertreibungen als auch das Ausmass ihrer Auswirkungen.

Wohin sollten wir also unsere Ressourcen lenken?

Bei Medair sind wir überzeugt, dass jedes Leben zählt und unser humanitärer Auftrag, Leben zu retten, auch weiterhin von entscheidender Bedeutung bleibt. Darüber hinaus erforschen wir neue Wege, wie wir Gemeinschaften helfen können, auf Krisensituationen besser vorbereitet zu sein und sie in ihrer Fähigkeit stärken können, selbstbestimmt auf Notlagen reagieren zu können. Ziel ist es, zu einer grösseren Resilienz der lokalen Gemeinschaften beizutragen.

Auswirkungen der humanitären Arbeit auf die Umwelt

Die Umweltauswirkungen der humanitären Arbeit sind ein komplexes Thema, das jeden Teil unserer Tätigkeit betrifft. Ob es sich um gesundheitsbezogene Aktivitäten handelt, die zu einer unsachgemässen Abfallentsorgung führen, oder um Wasser- und Sanitärprojekte, die zu einer Übernutzung und Verunreinigung des Grundwassers führen, unsere Handlungen können manchmal unbeabsichtigte Folgen für die Umwelt haben.

Heute ist unser grösstes Problem der Luftverkehr. Wir müssen die richtigen Fachkräfte zur richtigen Zeit an den richtigen Ort bringen, um schnell qualitativ hochwertige und verantwortungsbewusste Hilfsprojekte in die Wege zu leiten, doch dies geht oft mit einem hohen CO2-Fussabdruck einher.

Dieses Problem wird durch unsere Abhängigkeit von externen Lieferanten verschärft. Diese Lieferanten versorgen uns mit allem, von Nahrungsmitteln und Wasser bis hin zu Zelten und medizinischen Hilfsgütern, aber sie teilen nicht immer unser Engagement für ökologische Nachhaltigkeit.

Schliesslich haben wir Budgetbeschränkungen. Humanitäre Organisationen arbeiten oft mit knappen Budgets, und jeder ausgegebene Franken muss die grösstmögliche Wirkung erzielen, um denen zu helfen, die in Not sind. Obwohl es oft umweltfreundlichere Alternativen für den Betrieb und die Versorgung gibt, können diese manchmal im Vergleich um einiges teurer sein als.

Unser Weg hin zu klimafreundlicher Hilfe

Im Bereich der humanitären Hilfe gibt es keine universelle Lösung für klimafreundliche Programme. Jeder Kontext – mit seinen einzigartigen geografischen und politischen Einschränkungen, kulturellen und sozialen Faktoren, Infrastrukturanforderungen, technologischen Beschränkungen, Sicherheits- und Zugänglichkeitsproblemen – stellt eine einzigartige Herausforderung dar, die von uns Anpassung, Lernen und Innovation erfordert.

Auf unserem Weg zu klimafreundlicher Hilfe war die Unterzeichnung der Klima- und Umwelt-Charta für humanitäre Organisationen im Jahr 2021 ein bedeutender Meilenstein. Doch unser Engagement geht weit über blosse Unterschriften hinaus; es ist auch in unserer Umweltpolitik verankert, die jeden Aspekt unserer Arbeit leitet.

Hier sind einige Beispiele unserer neuesten Initiativen:

  • Klimafreundliche Unterkünfte in der Türkei

Als Reaktion auf die verheerenden Erdbeben in der Türkei am 6. Februar 2023 entsandte Medair umgehend ein Team, um den dringendsten Bedarf zu decken. Einige Städte waren zu 90% zerstört worden, Tausende Familien waren über Nacht obdachlos geworden. Die Nachfrage nach Unterkünften war überwältigend, doch zugleich waren wir uns der kurzen Lebensdauer und schlechten Qualität von Standard-Notunterkünften wie Zelten bewusst. Mit der Hilfe eines lokalen Anbieters in Gaziantep suchten wir nach einer nachhaltigeren Lösung.

In Zusammenarbeit mit lokalen Partnern, Ingenieuren und Gemeinschaften entwarfen wir vorgefertigte, paneelierte Häuser aus lokal beschafftem Holz und Dämmmaterial. Diese Strukturen können an individuelle Bedürfnisse angepasst werden, sind reparierbar und haben eine Lebensdauer von mindestens fünf Jahren, im Gegensatz zu nur sechs Monaten für Standardzelte. Dieser innovative Ansatz hat nicht nur dauerhafte Unterkünfte verfügbar gemacht, sondern auch die vertriebene Bevölkerung befähigt, Verantwortung zu übernehmen und die Häuser an ihre Bedürfnisse anzupassen. Unsere Teams haben erfolgreich etwa 82 dieser Übergangsunterkünfte installiert und damit eine nachhaltige und lokal integrierte humanitäre Lösung erarbeitet.

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  • Recycling von Plumpy’Nut Plastikabfällen

Unterernährung ist ein dringendes Problem in vielen der Länder, in denen wir tätig sind, insbesondere bei Kindern unter fünf Jahren. Eine der effektivsten Behandlungsmethoden ist die Verabreichung einer therapeutischen Nahrung namens Plumpy'Nut. Diese nährstoffreiche Erdnusspaste hat sich bei der Behandlung von Unterernährung als äusserst wirksam erwiesen. Sie wird sowohl in Gesundheitseinrichtungen als auch für die Anwendung zu Hause verteilt. Der Genesungsprozess der Patientinnen und Patienten wird durch regelmässige Kontrolluntersuchungen überwacht.

Allerdings wird Plumpy’Nut in Einweg-Plastikverpackungen geliefert, die schwer zu recyceln sind und oft im Abfall landen. Um das Problem der Plastikabfälle anzugehen haben wir ein Recyclingsystem eingeführt, das von den Patientinnen und Patienten verlangt, die Verpackungen als Nachweis der Verwendung zurückzugeben, bevor sie ihre nächste Dosis erhalten. So wird nicht nur auf Umweltbedenken eingegangen, indem es das Recycling dieser weit verbreiteten Verpackungen erleichtert, sondern es kann zugleich sichergestellt werden, dass die Menschen ihre Behandlung auch zu Hause fortsetzen und die therapeutische Nahrung einnehmen.

  • Katastrophenrisikominderung in Madagaskar

In Madagaskar, wo Gemeinschaften ständig der Bedrohung durch Zyklone ausgesetzt sind, haben wir ein Frühwarnsystem implementiert. Per SMS werden die Menschen vor herannahenden Zyklonen gewarnt – im Jahr 2022 konnten so über 3,8 Millionen Menschen mit Sturmwarnungen erreicht werden. Zugleich bieten wir Schulungen im Risikomanagement, in der richtigen Verhaltensweise im Falle eines herannahenden Wirbelsturms und verbessern Wetterbeobachtungs- und Alarmpläne. Durch die zeitnahen Warnungen sind die Gemeinschaften in der Lage, frühzeitig Vorkehrungen zu treffen und die Auswirkungen eines Zyklons zu mindern. Dank des angeeigneten Wissens wird eine nachhaltige Entwicklung erzielt und die Resilienz der lokalen Gemeinschaften gestärkt.

Auf dem Weg zu einer klimafreundlichen Zukunft

Auf unserem Weg zu einer klimafreundlichen Zukunft zählt jeder Schritt. Der humanitäre Hilfssektor mag komplex sein, doch unsere Mission ist klar: Unseren Fussabdruck zu minimieren und gleichzeitig unseren Einfluss auf die Menschheit zu maximieren.

“Es ist viel effizienter, proaktiv zu handeln, bevor eine Krise eintritt. Das umfasst sowohl die Erwartung – und die Nutzung von Daten zur Vorhersage – möglicher Krisen, als auch die Unterstützung von Gemeinschaften, sich besser auf unvermeidliche Katastrophen vorzubereiten”, sagt Damon Elsworth, Leiter des globalen Nothilfeeinsatzteams von Medair.

Wie Damon veranschaulicht, geht der tatsächliche Einfluss – sowohl aus einer Umwelt- als auch aus einer humanitären Perspektive – über eine nachhaltige Reaktion auf Krisen hinaus. Er umfasst Investitionen in Antizipation und Resilienz aus sowohl Umwelt- als auch humanitärer Sicht.

Forschungsergebnisse unterstreichen diese Dringlichkeit und zeigen, dass Länder, die nur begrenzt bis moderat mit Frühwarnsystemen abgedeckt sind, fast sechsmal höhere Katastrophen-Mortalitätsraten aufweisen als diejenigen mit umfassender bis vollständiger Abdeckung.

“Der Wert der Resilienz wird sich erst im Laufe der Zeit – nach 5, 10 oder sogar 20 Jahren – wirklich zeigen. Aber es ist entscheidend, dass wir die Grundlagen für eine Zukunft legen, in der Krisen weniger schwerwiegend sind und die Gemeinschaften besser in der Lage sind, autonom zu reagieren. Bei Medair sind wir in der idealen Position, dies zu tun, da wir einzigartigen Zugang in den von uns betreuten Regionen haben und entschlossen sind, einen bedeutenden Einfluss zu schaffen”, sagt Damon.

Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und am internationalen Hauptsitz verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.
August 22, 2024
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Anne ist eine führende Stimme und Akteurin im globalen Sektor der humanitären Hilfe. Sie hat in den letzten zwanzig Jahren humanitäre Einsätze in Darfur, Somalia, Angola, Norduganda und dem Südsudan geleitet. Zuletzt war sie Direktorin für die internationalen Programme von Medair im Nahen Osten, Zentralasien, in Europa und in Afrika. Darüber hinaus ist Anne Mitglied der Direktorengruppe, die den Ständigen Institutionellen Ausschuss der Vereinten Nationen berät. Dieser Ausschuss hat die Aufgabe, die Koordination in der humanitären Hilfe zwischen UN und Nicht-UN-Organisationen zu verbessern. Wir freuen uns, bekannt geben zu dürfen, dass Anne Reitsema zur neuen Geschäftsführerin von Medair ernannt wurde. Sie ist damit die fünfte Person, die diese verantwortungsvolle Funktion seit der Gründung unserer Organisation im Jahr 1989 innehat. Wir haben uns gefreut, mit ihr über diese neue Kapitel in ihrer humanitären Karriere zu sprechen.